Freitag, 15. Juli 2011

Warum muss es immer wie Fleisch aussehen?

Letzter Zeit habe ich mal wieder auf Youtube rumgestöbert, und hab mich deswegen entschieden, meine Eindrücke hier zu kommentieren.

Das Thema, dass ich ansprechen möchte, begleitet mich schon viele Jahre, obwohl ich erst seit etwa Mitte 2010 vegan lebe. In den vielen Jahren meines Vegetarier-Daseins hat mich diese Frage immer mal wieder beschäftigt, mich irritiert und verwundert: Warum müssen Fleischersatz-Produkte immer wie Fleisch aussehen?

Der werte Dr. Tofu, der ja einer der Gründer von Viana ist, hat das auf interessante Weise in seinen Vlogs kommentiert (unter anderem auch in einem Kochvideo mit Attila Hildmann). Viele Nichtveganer meinen eine Art Inkonsequenz zu spüren, wenn sie mitbekommen, dass Veganer Fleischersatzprodukte konsumieren.

Meiner Meinung nach ist der Konsum von Fleischersatzprodukten an sich überflüssig. Ich brauche sie nicht zwingend zum Überleben. Dies macht den Konsum solcher Produkte jedoch nicht verwerflich oder inkonsequent. Scheinbar glauben viele Menschen, Veganer könnten eben doch nicht auf Fleisch, Milch, Eier etc. verzichten, und sei es nur wegen des Geschmacks. Wir erinnern uns: Das Argument des Geschmacks ist immernoch eins der Hauptargumente, mit denen passionierte Fleischesser ihren Konsum verteidigen, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlen durch das spießige, weltfremde Gutmenschtum von Veganern.

Und in der Tat, ich konsumiere einige Fleischersatzprodukte auch deshalb weil sie mir schmecken, und nicht nur aufgrund wichtiger Aminosäuren oder der Eiweißversorgung usw.pp. Das SYMBOLISCHE Monopol, stark proteinhaltige Produkte mit fester Konsistenz zu marinieren und mit Paprika, Knoblauch und Rosmarin zu würzen, zu grillen und auf Brötchen mit Tomaten, Gurken und Ketchup zu legen, dies liegt offenbar weiterhin nicht bei Essern rein pflanzlicher Lebensmittel. Und wehe, das vegane Würstchen schmeckt dann doch nicht nach "nichts", sondern ein bisschen wie Wiener. Wie inkonsequent und heuchlerisch! Wie pseudo!

Umso irritierter sind viele Vegetarier und Fleischesser dann, wenn diese Produkte ähnliche oder gleiche Namen wie Fleisch bekommen, wie Würstchen, Steak, Schnitzel oder Gulasch (dies trifft lediglich nicht auf Bratling zu, ein Begriff, der uns gelassen wurde). Auch diese Bezeichnungen sind für mich weder zwingend notwendig noch machen sie mich heiß und wuschig. Ob meine Pommes nun French Fries oder Freedom Fries heißen, Auswirkungen auf mein Konsumverhalten oder gar ethische Fragen hat dies ja ebenfalls nicht! Meinetwegen können Sojaschnetzel in Zukunft auch Gehirnwurst oder Ochsenschwanz heißen, ich würd die Assoziation zwar nicht begrüßen, hätte aber auch kein ethisches Problem damit. Besser der Name ist gleich, als der Inhalt ;-) !

Womit wir bei dem zweiten Grund wären: Convenience. Nicht umsonst investieren Großonzerne wie Knorr, Nestlé et al. Millonen und Milliarden in den Markt der Convenience-Produkte. Convenience-Produkte bedeuten für den Verbraucher einen möglichst geringen Aufwand für die Zubereitung, sind möglichst schnell verzehrbar und meistens stark verarbeitete Lebensmittel.

Mal Tofu und Tempeh ausgenommen sind die meisten Fleischersatzprodukte, die ich kenne, Convenience-Produkte, die schnell in der Zubereitung sind und lecker schmecken und dabei oft an ihr Vorbild erinnern sollen..... oder sogar ein bisschen besser schmecken (da hat Dr. Tofu nun auch wieder Recht, die Real Jumbos sind m.E. immernoch wesentlich leckerer als echte Würstchen, auch wenn sie kaum wie Würstchen schmecken)!

Und aus Convenience-Gründen heißen diese Produkte auch so, dass selbst frische Veganer eine Vorstellung bekommen, in welche Geschmacksrichtung sich das Produkt bewegt. Ich würde kreativere Namen aber ebenso zu schätzen wissen. Gleiche Problematik gilt natürlich auch für Käsealternativen.

Ein weiterer Aspekt: Dr.Tofu führte an mehreren Stellen aus, dass für ihn die Frage des Aussehens eine Frage des "Mediums" oder der "Funktion" ist. Er sagt, so wie eine CD nunmal immer wie eine CD aussieht, egal welche Musik darauf gebannt wurde, so ist ein Würstchen eher die Form, aber eben NICHT der Inhalt.

Wenn zu Ostern ein Osterlamm gebacken wird, d.h. ein Kuchen in Tierform, hat dies über Jahrhunderte hinweg auch niemanden geschert. Problematisch wird die Form erst dann, wenn jemand daherkommt, etwas ablehnt und dann in pflanzlich in selber Form herstellt. Dr. Tofu betont außerdem zu Recht: Bei Sojamilch beschwert sich auch niemand, dass sie weiß ist und flüssig (obwohl immer wieder betont wird, dass sowas ja nicht schmeckt).

Was sagt uns das nun?
1. Fleischersatzprodukte werden oft als Zeichen von Inkonsequenz gedeutet. Der Veganer, der diese konsumiert, erscheint so, als könne er insgeheim doch nicht auf all die tollen Dinge verzichten, die die anderen essen, obwohl er ja per se nie etwas gegen den Geschmack gesagt hat. Veganern gehts um das Wesen der Dinge, nämlich dass er nicht lecker an Tierleichenteilen schmausen will. Das zu thematisieren erachte ich als wichtig im Austausch mit Nichtveganern, um dieses Missverständnis ein wenig aus der Welt zu schaffen. Immer wieder geht es letztlich darum, mit dem Missverständis aufzuräumen, Veganer seien inkonsequent.

2. Fleischersatzprodukte sind oftmals Convenience-Produkte, die eben schnell zuzubereiten sind und schnell als das einzuordnen sind, was jahrhundertelang (auch vor der Massenproduktion) in tierischer Form zubereitet wurde. Aber auch Veganer sterben nicht ohne den Konsum dieser Lebensmittel, aber sie nutzen alle ethisch für sie vertretbaren Mittel, sich zu laben, zu genießen, und sich danach die Finger zu lecken. Dies tun sie im Übrigen aber auch an puren, wenig verarbeiteten Lebensmitteln, und vielleicht sogar viel bewusster als von außen unterstellt!

Oft sollen die Fleischersatzprodukte diese nicht direkt ersetzen, sondern die schon enorme Vielfalt veganer Lebensmittel bereichern, z.B. wie bei Tempeh, der ja meiner Meinung nach auch nicht direkt etwas mit Fleischimitat zu tun hat. Aus Convenience-Gründen heißen diese dann eben "anrüchig", sie sind es aber eben einfach mal nicht!

3. Fleischersatzprodukte werden oftmals in Formen produziert, die sich als praktisch erwiesen haben. Einen Hammel isst man als Hammelverspeiser in kleinen Brocken, ebenso macht das mit Tofu Sinn, oder mit Würstchen (ähm, ich meine, Pflanzenschlangen hrhr). Auch dies hat keine ethischen Konsequenzen. Problematischer fände ich Fleischersatzprodukte beispielsweise in Hakenkreuzform oder mit sexistischer Symbolik. Hiermit möchte ich schonmal neugierig machen auf meinen nächsten Eintrag, indem ich die Frage nach Fleisch und Männlichkeit stellen möchte.

Links:
Dr. Tofu Kochpottcast Teil 1 - Wer hat Angst vor vegetarischen Produkten?
Dr. Tofu Kochpottcast Teil 2 - The Making of Soy Cappucino
Dr. Tofu Kochpottcast Teil 3 - Forsaumfrage-Ergebnisse
Dr. Tofu Kochpottcast Teil 4 - Vegetarierstempelei und vegane Sandkastendiktatoren
Dr. Tofu kocht mit Attila Hildmann